Matthias Böhm, stadtforum heft 2019


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Artikel für Stadtforum-Heft 2019

Zittaus Kulturhauptstadt-Bewerbung 2025 und ihr Umgang mit Baukultur

Die Stadt Zittau (Landkreis Görlitz) bewirbt sich als europäische Kulturhauptstadt 2025. Der ursprüngliche Gedanke war, damit einen Baustein zum erforderlichen Strukturwandel in der Lausitz zu liefern: Durch den Ausstieg aus der Braunkohle entfallende Arbeitsplätze könnten im kulturellen/touristischen Bereich teilweise kompensiert werden, die Region könnte sich ein neues Image geben…

Das Bewerbungskonzept sieht eine Beteiligung des gesamten Dreiländerecks Deutschland/Polen/Tschechien vor. Mitmachen werden die weiteren 5 Mitglieder des Oberlausitzer Sechsstädtebunds, Kamenz, Bautzen, Löbau, Görlitz und Luban (Polen), aber auch Liberec und Ceska Lipa in Tschechien sowie viele weitere Kommunen in allen 3 Ländern. Das Aufgreifen der Lage im Dreiländereck bietet sich natürlich im Bewerbungskonzept an, hat aber auch den Vorteil, dass die Lasten für die relativ kleine Stadt Zittau (25.500 EinwohnerInnen) auf mehrere Schultern verteilt werden können. So hat Zittau eine realistische Chance gegen die übermächtig erscheinenden sächsischen Mitbewerber Dresden und Chemnitz. Zudem erwartet die EU ein Programm, das zum Bewerber passt: bzgl. der Fähigkeiten und finanziellen Möglichkeiten. Es geht also nicht darum, neue „Kulturpaläste“ zu bauen und für 2025 eine große „Bespaßung“ der BesucherInnen zu organisieren, sondern vorhandene Stärken und Potenziale aufzuarbeiten und überzeugend zu präsentieren.

Die Stadt Zittau hat gerade im Bereich der Baukultur vielfältige Schätze, auf denen man aufbauen kann. Es gilt allerdings, dieses historische Erbe zu erhalten, zu pflegen und zu entwickeln. Leider bezogen sich Aktivitäten in den Bereichen Denkmalschutz und Stadtentwicklung in den vergangenen Jahrzehnten fast nur auf die historische Innenstadt (innerhalb des Rings) oder auf herausragende Einzelobjekte.

Um künftigen BesucherInnen im Kulturhauptstadtjahr 2025 ein bleibendes Erlebnis zu schaffen, muss aber das Gesamtbild der Stadt stimmig sein: Ein Beispiel ist die sog. Willkommenskultur an den Haupteinfallstraßen. Das Stadtentwicklungskonzept der Stadt im Dreiländereck verfolgt hier eigentlich einen sehr guten Weg: So soll die vorhandene Bausubstanz entlang dieser Verkehrsachsen möglichst erhalten werden, um städtebaulich intakte Strukturen zu bewahren und um sich der Stadt nähernde BesucherInnen nicht mit einem Flickenteppich aus Brachflächen, Parkplätzen und Einzelgebäuden zu empfangen. Leider wurde diese sinnvolle Strategie in den letzten Jahren immer wieder in Einzelfällen missachtet, sodass in der Summe nun doch ein negatives Bild an vielen Einfallstraßen entstanden ist. Beispielhaft kann dies an der Görlitzer Str. (B 99) dargestellt werden: Diese führt von Norden zunächst durch den Weinaupark und den städtischen Friedhof mit hohem Baumbestand. Die danach beginnende historische Bebauung wurde insbesondere in den letzten 2 Jahren dezimiert. Die „Totenschänke“ beim Krematorium wurde abgerissen und die Freifläche zu einem Parkplatz; in unmittelbarer Nachbarschaft der sanierten Postsiedlung aus den 30er Jahren „ersetzte“ die städtische Altenpflegegesellschaft ein zu diesem Ensemble gehörendes Eckhaus durch einen unpassenden Neubau.

Ein anderes Ärgernis ist Zittaus Umgang mit seinen Gründerzeitvierteln: Auch hier wurden in den letzen Jahren schmerzliche Lücken gerissen, so schräg gegenüber der katholischen neogotischen Marienkirche (Weihe 1890). Sehr verwerflich war hierbei der Abriss von mehreren Eckhäusern an Straßenkreuzungen, wo noch alle 4 Eckgebäude erhalten waren, wie an der Humboldt- Ecke Schrammstr. Aber damit nicht genug: Aufgrund fehlender planungsrechtlicher Vorgaben – das Umgebungsgebot gem. § 34 BauGB ist hier nur ein zahnloser Papiertiger – werden einige Baulücken mit moderner, poppiger Architektur geschlossen (Holzbungalows, Flachdächer, riesige Fensteröffnungen, blau-orange Farbgebung usw.). Eine denkbare Lösung wäre eine Gestaltungssatzung für die Gründerzeitviertel nach dem Vorbild der Stadt Dresden.

Die Kulturhauptstadtbewerbung birgt aber auch die Chance, städtebauliche Brennpunkte anzupacken. Das aus relativ jungen MitarbeiterInnen bestehende Team zur Begleitung der Kulturhauptstadtbewerbung ist idealerweise bei der stadteigenen Stadtentwicklungsgesellschaft angestellt. Mit Transparenten an „Problem-Gebäuden“, die schlicht die Frage stellen: „Brache oder Potenzial?“ und öffentlichen Ideen-Workshops geht das Team unbefangen auch an bzgl. einer Entwicklung festgefahrene Objekte wie die Mandaukaserne oder das Roburgelände heran. Nachdem der Zittauer Stadtrat Ende 2017 die Beantragung von in Aussicht gestellten 4 Mio. € Fördermitteln aus dem neuen Bundes-Förderprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“ für die Mandaukaserne ablehnte (siehe auch vor diesem Beschluss verfassten Artikel in Stadtforum-Heft 2017), bieten sich nun für dieses stadtbildprägende Gebäude neue Chancen: Als Nutzungsmöglichkeiten sind weiterhin ein Teilumzug der Hochschule Zittau/Görlitz aus Häusern im ehemaligen Armeegelände am Stadtrand aber auch eine Hotelfunktion im Gespräch. Zittau hat keine Beherbergungsbetriebe, die mehrere Reisebusladungen komplett aufnehmen können, was aber im Falle eines Zuschlags von einer Kulturhauptstadt verlangt werden wird!

Aber auch das unmittelbar am Bahnhof Zittau gelegene Roburgelände rückt in den Fokus: Hier wurden bis zur Wende die in der DDR und im sozialistischen Ausland weit verbreiteten Robur-Kleinnutzfahrzeuge produziert. Jeder Bahnreisende muss auf seinem Weg in die Innenstadt an diesem im Dornröschenschlaf liegenden Zeugnis einer langen Fahrzeug-Industriegeschichte vorbei. Erste Ideen einer Nutzung des Areals sehen Arbeitsräume für Start-ups vor, für hier produzierte noch erhaltene Fahrzeuge (auch vom Vorgängerbetrieb Phänomen) könnte eine dauerhafte Ausstellung geschaffen werden, eine Brauerei-Gaststätte könnte die Wiederbelebung der Zittauer Brau-Kultur einleiten (die letzte Zittauer Brauerei dämmert direkt neben dem Robur-Gelände). Und mit der geplanten Einführung eines integralen Taktfahrplanes im Bahnhof Zittau sollen auch alle Buslinien am Bahnhof beginnen und enden: Zur Vermeidung von Leerfahrten könnte der Busbetriebshof – gleich mit Infrastruktur zur Ladung und Wartung von Elektrobussen – hier untergebracht werden. Aufgrund der Größe des Geländes wären hier auch mehrere Nutzungen parallel möglich.

Zittaus Bewerbung als Kulturhauptstadt 2025 ist für die gesamte Region eine große Chance, ja sogar ein Gewinn: Denn bereits jetzt unterstützt der Freistaat Sachsen den Bewerbungsprozess finanziell. Im Fall, dass Zittau im Dezember 2019 auf die Shortlist („engere Wahl“) kommt, hat der Freistaat weitere 20 Mio. € zugesagt! Selbst bei einem Scheitern der Bewerbung besteht die Möglichkeit, jetzt angeschobene Projekte fortzusetzen. Die Stadt muss allerdings mehr tun, um ihre historische Bausubstanz zu sichern, damit Heimat nicht nur für Gäste bewahrt wird.

Stadtrat Matthias Böhm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN),
Mitglied des Stadtforums Zittau

Kontakt Stadtforum Zittau: stadtforum-zittau@web.de

Stand: 04.09.2019